Siemens Dialog
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09.05.2024, 18:05 Uhr

"Keine Insel der Seligen"

  • 03.03.2009
  • Operativ

Bei einer Betriebsversammlung in Erlangen G konnte der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher weder alle Fragen restlos beantworten, noch eine durchweg rosige Zukunft ankündigen. Dennoch optimistisch stimmt zumindest die Versicherung, er stehe zur sozialen Verantwortung des Unternehmens und wolle eventuelle Probleme gemeinsam mit IG Metall und den Betriebsräten bewältigen.

Wie zu erwarten sorgte die Ankündigung des prominenten Gastes zur Betriebsversammlung im Stammhaus am Montag für eine überfüllte Erlanger Stadthalle. Die Betriebsratsvorsitzende Sigrid Heitkamp nutzte die Gelegenheit für eine Reihe von Fragen und übte auch Kritik an manchen Aspekten der aktuellen Situation. So hat der Abbau im Zuge des SG&A-Programms seine Spuren hinterlassen, die sich nun auswirken: "Die Arbeit fällt nicht so schnell weg, wie die Leute abgebaut werden." Im Stammhaus sind die Maßnahmen zwar abgeschlossen, bei Mobility jedoch zeichnet sich trotz zu 91 Prozent "gelöster" Fälle ab, dass die Geschäftsleitung weiter reduzieren will.

"Welche Zukunft haben die IT-Dienstleister?"

Ein weiterer Kritikpunkt ist die bevorstehende Integration der IT-Bereiche bei Siemens (siehe IT-Integration: Sorgen und Intransparenz). Heitkamp mahnte die mangelnde Beteiligung interner Experten an - nämlich der betroffenen Beschäftigten selbst - und betonte die Notwendigkeit einer gründlichen Überprüfung der Prozesse: "Es gibt einen Zusammenhang zwischen guten Prozessen und einem gewinnbringenden Geschäft." Die grundlegende Frage an Löscher, die allen IT-Mitarbeitern auf der Seele liegt: "Welche Zukunft haben die IT-Dienstleister bei Siemens?"

Zielvorgaben überprüfen

Mit Blick auf die Wirtschaftskrise plädierte die BR-Vorsitzende für Maßnahmen, die keinen Einfluss auf das Entgelt haben, so, wie sie auch die Gesamtbetriebsvereinbarung vorsieht. Handlungsbedarf sieht sie hinsichtlich der Zielmargen für die einzelnen Bereiche, die aufgrund tiefgreifend veränderter wirtschaftliche Rahmenbedingungen geändert werden müssten.

Auch der erste Erlanger IG Metall-Bevollmächtigte Wolfgang Niclas betonte diese Notwendigkeit: "Wenn Margen unrealistisch hoch gesetzt werden, bedeutet das für die Beschäftigten, dass am Ende des Tages Arbeitsplätze abgebaut werden." Er stellte das 7-Punkte-Papier der IG Metall zur Wirtschaftskrise vor und übte deutliche Kritik am mancherorts herrschenden Umgang mit Leiharbeitnehmern: "Es kann nicht sein, dass Leiharbeitnehmer billiger sind als Festangestellte." Die Grundforderung der IG Metall lautet kurz und eindeutig "equal pay und equal treatment." Ein weiteres übergeordnetes Anliegen, so Niclas, rückt gerade in Krisenzeiten in den Vordergrund: Werksschließungen sollten nur mit einer Zweidrittelmehrheit in den Aufsichtsräten beschlossen werden können.

SG&A-Prozess "noch am Wirken"

Peter Löscher dankte zuerst einmal den Beschäftigten für ihre Mitarbeit an der Umsetzung des SG&A-Programms, mit dem man kurzfristig Weichen stellen konnte, um Siemens fit für die Zukunft zu machen. Die daraus entstehende grundlegende Veränderung des Konzerns sieht er noch nicht beendet: "Der Prozess ist noch am Wirken. [...] Wir sind bei den Zielen noch nicht angekommen." Ausdrücklich betonte er in diesem Zusammenhang das Eckpunktepapier und die zugrundeliegende Zusammenarbeit mit IG Metall und Gesamtbetriebsrat, auf die er auch in Zukunft baut.

Krisenbewältigung im Dialog mit IG Metall und Gesamtbetriebsrat

Zur Wirtschaftskrise gab sich der CEO nachdenklicher als in den öffentlichen Äußerungen der vergangenen Monate: "Wir sind keine Insel der Seligen. Die Wucht des globalen Abschwungs spiegelt sich auch bei uns wieder. [...] Die Wucht des Umfeldes trifft auch unsere kurzzyklischen Geschäfte." Vor diesem Hintergrund betonte er die soziale Verantwortung des Unternehmens und setzt auf ein dreistufiges Maßnahmenkonzept, dass im Dialog mit IG Metall und Gesamtbetriebsrat umgesetzt werden soll: keine Gehaltsverzichtmaßnahmen, standortübergreifender Personalaustausch flexible Nutzung der Kurzarbeit.

Abschwung trifft Siemens nicht in der Gesamtbreite

Zur Ausgangsposition des Unternehmens verbreitete er ungeachtet der schwierigen Rahmenbedingungen Optimismus: "Wir stehen stärker da als andere Unternehmen. [...] Wir haben keinen Grund, unsere Leistung unter den Scheffel zu stellen. Wir stemmen uns mit aller Macht gegen die Krise und werden uns unserer sozialen Verantwortung stellen." Das Portfolio und das Gesamtgeschäft sieht er so gut aufgestellt, dass der konjunkturelle Abschwung Siemens nicht in seiner Gesamtbreite treffen wird.

Margenüberprüfung quartalsweise

Zur von der Betriebsratsvorsitzenden geforderten Anpassung der ehrgeizigen Margenziele hielt sich der Vorstandschef bedeckt. Sie wurden im Juli 2007 festgelegt - also unter deutlich anderen Voraussetzungen. Löscher hält derzeit dennoch an ihnen fest, räumt jedoch ein, man wisse aktuell nicht, wie sich die Krise auf die Realwirtschaft und die einzelnen Bereiche von Siemens auswirken werden. Sein Fazit lautet daher: "Wir werden jedes Quartal neu bewerten müssen. Die nächste Aussage dazu ist im Rahmen der nächsten Quartalsgespräche."

IT-Integration: Verantwortung bei Industry und SIS

In der aktuellen Problematik der IT-Integration nahm er Stellung zu Kritik und Fragen von Heitkamp und Niclas. Sollten manche Prozesse so fehlerhaft sein wie von Beschäftigten und Betriebsräten geschildert, sei dies in der Tat "ein Problem." Die Verantwortung für die Lösung sieht er getreu des CEO-Prinzips bei SIS als der operativen Einheit und kündigte an, sowohl Heinrich Hiesinger als auch Christoph Kollatz zu beauftragen, "sich um die Angelegeneheit zu kümmern".

Die mancherorts bestehende Befürchtung, Siemens bereite sich auf eine Trennung von seiner IT vor, wollte er verbindlich weder bestätigen noch dementieren: "Der Softwarebereich ist extrem wichtig für unsere Bereiche und Sektoren und da wollen wir sie noch näher an die Geschäfte heranführen." Wenn SIS jedoch eine Marge von fünf bis sieben Prozent halte, so die wesentliche Aussage, sei die Zukunft im Konzern gesichert.

Klaus Hannemann verabschiedet

Zum Abschluss der Versammlung wurde der langjährige Betriebsrat Klaus Hannemann verabschiedet, seit 1970 im Stammhaus und 14 Jahre Vorsitzender der Interessenvertretung. Hannemann bedankte sich für die konstruktive Kritik in diesen Jahren und appellierte an die Beschäftigten, sich einzubringen: "Die IG Metall bringt gerade viele Aktivitäten zum Laufen, insbesondere auch für die Gruppe der Ingenieure."