Siemens Dialog
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18.05.2024, 17:05 Uhr

"Mit eingeübten Mitteln nicht zu bewältigen"

  • 26.06.2008
  • Allgemein

Über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Siemens-Betrieben im Raum Erlangen trafen sich am Dienstag zu einer Informationsveranstaltung zum Konzernumbau. Die Menge offener Fragen sorgt für Unruhe, wobei nicht zuletzt die derzeit nach wie vor schwer durchschaubaren Pläne der Konzernführung eine zentrale Rolle spielen.

Die IG Metall setzt sich bei Siemens für die Ausweitung beziehungsweise den Erhalts des Deutschlandsgeschäfts ein. Aus ihrer Sicht droht das Management zu schnell zu vergessen, dass der deutsche und europäische Heimatmarkt in der Vergangenheit immer der entscheidende Treiber für Innovationen waren. Die Qualität und die Innovationen, die erforderlich sind, um auf diesem hart umkämpften Markt bestehen zu können, sind gleichzeitig die Voraussetzung für die Durchsetzung auf dem Weltmarkt.

Deutschland unter "ferner liefen"?

Andrea Fehrmann vom Siemens Team der IG Metall betonte, was der auch vom Management oft verwendete Begriff des integrierten Technologiekonzerns aus Arbeitnehmersicht bedeutet: "Forschung und Entwicklung, aber auch Produktion in Deutschland." Der Erste Erlanger IG Metall-Bevollmächtigte Wolfgang Niclas erklärte, Siemens habe sich in den vergangenen Jahren vom deutschen Konzern mit internationalem Geschäft zum globalisierten Konzern entwickelt; nun drohe Siemens zu einem globalen Konzern zu werden, der unter anderem auch in Deutschland Niederlassungen hat.

Kraftquelle der Siemens AG

Diese Tendenz, so Niclas' Fazit, werde "weder dem moralischen Anspruch auf den Erhalt der Arbeitsplätze für diejenigen gerecht, die Siemens zu dem gemacht haben, was Siemens heute ist, noch wird Rücksicht darauf genommen, dass die Stärken der Innovation und Produktivität in Deutschland liegen. Wer die Beschäftigten an die Märkte verlagern will, zerstört die Kraftquelle der Siemens AG."

Die kritische Diskussion zeigte, dass diese Bedenken im Unternehmen weit verbreitet sind. Offene Fragen gibt es viele:
- Ist in dem neuen Konzept noch eine sektorübergreifende Technologie- und Vertriebsstrategie vorgesehen?
- Inwieweit führen die angestrebten Kostensenkungsprogramme Sales, G&A und Transformationsprojekte zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung?
- Ist eine Einbindung durch den Arbeitgeber in die anstehende weitere Ausgestaltung der Umorganisation vorgesehen?
- Welche einschneidenden Veränderungen bringt die Senkung der Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten für die Masse der Belegschaft?

Äußerst spärliche Informationen

Dass auf die meisten Fragen derzeit noch die Antworten fehlen, ist unverkennbar auf die mangelnde Information aus der Chefetage zurückzuführen, die nicht "nur" die Belegschaft, sondern auch deren gewählte Vertreter betrifft. Niclas fasste zusammen: "Das hat es bei Siemens noch nicht gegeben: Der Wirtschaftsausschuss des Gesamtbetriebsrats erklärt eine Information für unzureichend und beauftragt einen Rechtsanwalt zur Einforderung hinreichender Informationen und einen Fachberater für die betriebswirtschaftliche Beratung bei der Neustrukturierung.  Diese Entwicklung zeigt: die aktuelle Problemlage ist mit den bisher eingeübten Mitteln nicht mehr zu bewältigen."

In der Tat kann man, das zeigen die Äußerungen von vielen Standorten, über die genauen Ziele und Absichten der Konzernführung sowie die daraus abgeleitete Gefährdung der Beschäftigten bislang praktisch nur spekulieren. Dass vor Ort dennoch bereits Vorgesetzte mit konkreten Vorgaben zum Abbau von Arbeitsplätzen hantieren, lässt befürchten, dass die Planung schon weiter ist als bekannt.

Betroffen sind alle

Vor diesem Hintergrund waren sich die TeilnehmerInnen einig, dass sich niemand, der bei Siemens arbeitet, in Sicherheit wiegen kann. Betroffen sind alle, ob unmittelbar oder indirekt: Die einen, weil sie eventuell verlagert werden oder ihr Arbeitsplatz entfällt; die anderen, die erst einmal an Bord bleiben, weil ihre Zukunft nur mit einer wirklich nachhaltig aufgestellten Siemens AG sicher ist.