Siemens Dialog
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18.05.2024, 15:05 Uhr

"Klassischer Personalabbau in Planung"

  • 20.06.2008
  • Allgemein

Während Siemens-Manager in der Presse verharmlosende Pauschalaussagen zum Konzernumbau verbreiten, wächst im Unternehmen mangels Information die Besorgnis. Rüdiger Skrobarczyk, Betriebsrat in der NL Hamburg, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des Gesamtbetriebsrats sowie des Wirtschaftsausschusses, gibt im Interview eine Übersicht zum Stand der Dinge.

Rüdiger Skrobarczyk

Siemens Dialog: Rüdiger, der Konzernumbau sorgt für immer mehr Unruhe im gesamten Unternehmen. Die Beschäftigten machen sich angesichts bedeutungsschwangerer, aber bislang wenig konkreter Ankündigungen Sorgen. Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" führt Ihr zu diesem Thema schon seit April Gespräche mit der Firmenleitung - warum weiß man denn immer noch so wenig?

 Rüdiger Skrobarczyk: Das ist von der Firmenleitung bewusst falsch dargestellt. Wir haben am 30. April ungefähr 14 verschiedene Projekte vorgestellt bekommen, einen Ordner voller Foliensätze, die wir erst am Morgen der Sitzung bekommen haben. Das war bislang das einzige. Die Informationen kamen zu spät, sind unvollständig und zum Teil völlig unverständlich. Die Erwartung der Firmenleitung war, dass wir dann alles abhaken und genehmigen.

Auf jeden Fall kann man mit dem Gesamtbetriebsrat so nicht umgehen. Er hat nun einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um die zeitnahe und umfassende Information beim Arbeitgeber juristisch einzufordern. Außerdem haben wir einen Fachberater hinzugezogen, der uns zum Thema der Neustrukturierung betriebswirtschaftlich berät.

Der Zeitungsartikel suggeriert Einvernehmen mit der Firmenleitung, was definitiv nicht da ist. Nicht einmal die selbstverständlichsten Dinge - wie umfassende Information - klappen.

SD: Im Mai habt Ihr nachdrücklich solche umfassenden Information eingefordert, ohne die man ja gar keine sinnvollen Gespräche führen kann (siehe Gesamtbetriebsrat fordert umfassende Informationen ein). Liegen diese Informationen mittlerweile vor?

 RS: Wir haben einen langen Fragenkatalog mit über zweihundert Fragen erstellt, den die Firmenleitung jetzt beantworten soll. Sie arbeiten noch dran. Seit April haben wir nichts mehr gehört und keine Informationen bekommen. Es scheint eben etwas einfacher zu sein, viele bunte Folien zu malen, als sie mit nachprüfbaren Inhalten zu füllen.

SD: Habt Ihr denn inzwischen schon konkrete oder allgemeine Punkte mit der Arbeitgeberseite abgesprochen?

 RS: Einzelne Themen werden derzeit in Projektgruppen bearbeitet. Dazu zählt zum Beispiel der Bereich Mobility. Schon seit lange vor dem 30. April verhandelt eine Projektgruppe des Gesamtbetriebsrats in der Division Mobility) über Probleme bei Transportation Systems. (siehe Priorität für Zielmargen)

Aber was die einschneidendsten Veränderungen für die Masse der Belegschaft bringen wird, also die Senkung der Vertriebs- -und Verwaltungsgemeinkosten, dazu fehlen uns bislang die Informationen.

Das weitere Problem ist die Zukunft der Region Deutschland, der RD. Einig sind sich zwar alle auf Firmenseite, dass RD ein Erfolgsmodell ist. Aber so wie die Neuorganisation jetzt ausgerichtet ist, nämlich "Vorrang haben die Sektoren", befürchten wir erhebliche negative Auswirkungen. Außerdem kommt der Begriff Montage und Service in den Foliensätzen, die wir bekommen haben, nicht vor. Wir fragen uns daher, was hat zum Beispiel die I&S mit der SIMS und den IS-Servicecentern vor? Sollte die Meldung des "Buschfunks" Wahrheit werden, sind dadurch etliche Niederlassungen gefährdet.

SD: Welche Forderungen stellt Ihr an die Firmenseite?

 RS: Wir fordern: Erhalt und Ausbau des Services. Wir erwarten, dass zum Beispiel die IS-Leitung nicht nur schmalspurig mit dem China-Blick auf ihre Servicegeschäfte schaut, sondern die negativen Auswirkungen auf die Kundenbindung ihres Vertriebes mit einbezieht. Aber auch die negativen Auswirkungen auf andere Geschäftsfelder zum Beispiel bei A&D müssen mit betrachtet werden. Ansonsten heißt das für mich: Portfolio weg, Kunde weg, Umsatz weg, Ergebnis weg und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Hartz IV.

Wir wollen einen Ausbau des Deutschlandgeschäftes. Wir wollen, dass das Erfolgsmodell der Region Deutschland erhalten bleibt und weiter ausgebaut wird. Davon profitieren auch unsere Werke und unsere zentralen Abteilungen in den Sektoren und Divisionen. Wir wollen auch eine Weiterentwicklung der Zentralen und der gemeinsamen Aufgaben im Konzern. Wir wollen kein Top-Down-verkündetes Sparpaket à la Peter Löscher und Joe Kaeser. Und die Mitarbeiter vor Ort, die zum Kunden sollen, werden dann mit Verwaltungsaufgaben belastet.

Wir wollen auch nicht, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Kosten der Bestechung und der zu erwartenden Strafe der SEC ausbaden müssen.

SD: Und wie stellt sich die Firmenseite zu all dem?

 RS: Bisher ist für uns nicht erkennbar, dass die Arbeitgeberseite auf unsere Argumente eingehen will. Sie will ihr Konzept eins zu eins umsetzen. Und hätte der Gesamtbetriebsrat reagiert wie von der Firmenleitung gefordert, hätte man sofort nach dem 30.April mit der Umsetzung begonnen.

SD: Die Medien zitieren häufig ohne genaue Quellenangabe, es sollten weltweit 10.000 Beschäftigte betroffen sein. Was sagt Ihr zu diesen Zahlen, und lässt sich schon absehen, welche Rolle Deutschland dabei spielt?

 RS: Uns sind bisher keine Zahlen genannt worden. Natürlich wissen die Analysten aus den Hintergrundgesprächen mit der Firmenleitung eine ganze Menge mehr als viele Betriebsräte. Aber der Arbeitsdirektor hat ja schon in der Presse verkündet, dass jeder Mitarbeiter noch vor seinem Urlaub weiß, wie er betroffen ist. Außerdem braucht der Finanzchef Joe Kaeser unbedingt die genauen Abbauzahlen, um die Restrukturierungskosten in der Bilanz am 30.9.2008 von der Steuer abzusetzen.

SD: Personalvorstand Siegfried Russwurm versichert oft in der Presse, Siemens suche dringend Ingenieure. Für Nordrhein-Westfalen hat Siemens auch gerade angekündigt, rund 1.000 Stellen vor allem bei Flender und im Sektor Energy zu schaffen (siehe 1.000 Stellen in NRW). Ist da der Umbau nicht nur eine Strukturveränderung, so dass es dann eigentlich gar nicht so schlimm wird?

 RS: Man kann das eine nicht mit dem anderen vergleichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die abgebaut werden sollen, sind keinesfalls alle eins zu eins auf andere Tätigkeiten umsetzbar. Bis auf einige Ausnahmen ist ein klassischer Personalabbau in Planung.

SD: Der Arbeitsdirektor hat in der FAZ auch betont, 1,2 Milliarden Kostenersparnis könne man nicht einfach mit einer Gleichung in Personalabbau umsetzen. Wie seht Ihr als Interessenvertreter das?

 RS: Das stimmt wahrscheinlich sogar. Da wird man auch Kosten für Strom, Bürofläche, Papier für den Kopier, aber auch IT-Kosten sparen. Aber die Masse der Einsparkosten wird wohl auf das Personal gehen.

SD: 1,2 Milliarden Euro, da ist es doch mit Personalkostensenkungen bestimmt nicht getan. Wisst Ihr schon, was sonst noch alles auf der Sparliste steht? Die Rede war ja auch schon von den so genannten Randbereichen und der seit Januar integrierten Siemens IT Solutions and Services.

 RS: Wir wollen bei der ganzen Betrachtung die SIS und die Töchter und Enkel der der Siemens AG nicht vergessen. Die Unsicherheit bei den SIS-Kollegen ist doch recht groß, da sie immer noch nicht wissen, wie sich SIS bei der Neuausrichtung auf die drei Sektoren aufstellt. Hierzu gibt es auch gegenüber dem Gesamtbetriebsrat keine klaren Aussagen.

Das gleiche gilt für die Tochterunternehmen. Hier die Unsicherheit auch sehr groß, da Herr Löscher angekündigt hat, die Anzahl der Töchter deutlich zu reduzieren. Aber auch dazu hat der Gesamt- beziehungsweise der Konzernbetriebsrat noch keine Informationen.

Unser bisheriges Fazit der bisherigen Gespräche und Verhandlungen lautet: Es wird für uns immer klarer, dass man im amerikanischen Cowboy-Stil den Ritt durch Siemens macht, um Siemens auf eine hohe Rendite zu trimmen. Das können der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall so auf keinen Fall mitmachen.

Wir wollen, dass der Siemensvorstand unsere Alternativen prüft, auf sie eingeht und dann in den Beratungen und Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall vernünftige Lösungen gesucht werden. Geschieht das nicht, ist ein zweites spannungsgeladenes Halbjahr 2008 nicht völlig auszuschließen.