Siemens Dialog
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16.05.2024, 13:05 Uhr

"Gerechtigkeit ist keine Sozialromantik"

  • 25.09.2008
  • Allgemein

Erwartungsgemäß reagierte das Arbeitgeberlager auf die Tarifforderung der IG Metall nach acht Prozent mehr Lohn und Gehalt mit einem kollektiven Aufschrei. Die bereits zuvor emsig verbreiteten Sprüchlein mit dem Tenor "nicht alle Tassen im Schrank" werden erneut bemüht. Der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber ging bereits am Dienstag darauf ein.

"Unberechtigt und gewaltig überzogen" seien acht Prozent (Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt), "Unvernunft" und ein "Desaster für Betriebe und Belegschaften" könnte (Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser), und wie immer steht die dumpfe Drohung im Raum, man werde "erhöhte Abschlüsse mit Arbeitsplätzen bezahlten" (Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer Hessenmetall).

Nun ist es in gewisser Weise der Job von Arbeitgebervertretern, eine wie auch immer geartete Tarifforderung als ökonomischen Wahnsinn zu geißeln. Berthold Huber begründete die Entscheidung, die dieses Mal besonders schrilles Gezeter hervorruft, ausführlich. Einige zusammengefasste Auszüge:

"Tarifpolitik ist keine mathematische Übung. Tarifpolitik nimmt auch die Erwartungen der Menschen in den Unternehmen auf. Auch uns ist nicht verborgen geblieben, dass sich die Konjunktur abschwächt, [...]doch daraus den Schluss zu ziehen, dass die deutsche Metall- und Elektroindustrie ihre Beschäftigten nicht mehr anständig für ihre Arbeit entlohnen könnte, glauben nur Träumer oder Ideologen des Arbeitgeberlagers.

Mit unserer Forderung wollen wir dazu beitragen, das Wachstum zu stabilisieren, indem wir die Kaufkraft der Menschen stärken. Argumentation, wonach der Kraftprotz 'deutsche Metallindustrie' aufgrund der Lohnforderung der IG Metall in wenigen Monaten zu einem schwindsüchtigen Zwerg wird, halte ich für aufgeblasene Polemik. In der Metallindustrie sind die Gewinne explodiert, Deutschland ist seit vielen Jahren Exportweltmeister, die Umsatzrenditen sind die höchsten seit den 60er Jahren, und noch nie wurde gemessen am Umsatz so wenig für Löhne und Gehälter gezahlt.

Jetzt sind wir dran

Ja, 8 Prozent gehen zu Lasten der Gewinne. Daraus machen wir gar keinen Hehl. Es geht uns um mehr Gerechtigkeit!

Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen, dass die Menschen für ihre großartige Arbeitsleistung die Anerkennung erfahren, die ihnen zusteht! Wann, wenn nicht jetzt, können sie erwarten, dass ihre Arbeit mit Respekt honoriert wird. Aber wie immer: Geringste Anzeichen einer konjunkturellen Delle werden von den Arbeitgebern genutzt, um die alten überkommenen Muster der Bedrohungsrhetorik gegenüber den Arbeitnehmern anzubringen. Statt Achtung und Anerkennung zu bezeugen, säen sie Furcht und Angst um die Arbeitsplätze.

Martin Kannegiesser hat kürzlich davon gesprochen, dass wir uns 'aufgrund von irgendwelchen Gefühlen von den Fakten entfernen'. Die Metallerinnen und Metaller lassen sich nicht von ihren Gefühlen leiten, sondern von den wirtschaftlichen Fakten in den Betrieben und den Familienhaushalten. Die Realeinkommen der Arbeitnehmerhaushalte sind seit 2003 gesunken. Wer ihr Gerechtigkeits-Gefühl verletzt, der darf sich nicht wundern, wenn diese Tarifrunde auch emotional geführt wird. Gerechtigkeit ist keine Sozialromantik. Sie ist für den Zusammenhalt der Gesellschaft und der wirtschaftlichen Systeme von höchster Bedeutung."