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04.10.2024, 10:10 Uhr

Koalitionsvertrag: Keine Antikrisenstrategie

  • 29.10.2009
  • Allgemein

Am Montag nahm der erste IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber im Interview Stellung zu den Koalitionsvereinbarungen der neuen Regierung aus Union und FDP. Die IG Metall sieht dort durchaus einige positive Aspekte, kritisiert aber an vielen Stellen Mängel und Konfliktpotenzial. Auch zur kommenden Tarifrunde gab es erste Äußerungen.

Im <link http: www.stuttgarter-zeitung.de stz page _blank external-link-new-window>undefinedInterview mit der "Stuttgarter Zeitung" unterstrich Huber, woran die IG Metall die neue Regierung messen wird: ob sie Wort hält und Mitbestimmung und Kündigungsschutz weiter bestehen lässt.

"Großer sozialer Kompromiss", aber keine Antikrisenstrategie

Ausdrücklich würdigte er, dass es bisher keine Welle betriebsbedingter Kündigungen gibt, und sich diese auch zumindest momentan nicht abzeichnet: "Es ist ein großer sozialer Kompromiss, den wir da getroffen haben." Der Koalition wirft er allerdings vor, dass sie in der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren wichtige Entscheidungen vertagt, und: "Die Vereinbarungen zum Beispiel zur Gesundheitspolitik sind sozialer Sprengstoff, den die FDP gelegt hat. Ob er zündet, wird sich wohl erst nach der Wahl in NRW erweisen. Vieles, wie zum Beispiel die Entlastung von Arbeitgebern, ist alter Wein in neuen Schläuchen. Eine Antikrisenstrategie ist es jedenfalls nicht."

Zwischen Kooperation und Konfrontation

Der Umgang mit der FDP wird sich aus Hubers Sicht zwischen Kooperation und Konfrontation bewegen, wobei es sachlich und interessenorientiert zugehen sollte. Von den Liberalen wünscht er sich nach dem Scheitern des radikalen Marktkapitalismus mehr Nachdenklichkeit, als derzeit zu erkennen ist: "Wenn Westerwelle die FDP in Richtung Volkspartei mit einem Wähleranteil von 20 Prozent und mehr führen will, wird man das mit Interesse begleiten, weil die einseitige Hinwendung zu den Besserverdienenden dann nicht mehr tragfähig ist. Dann wird die FDP Zugeständnisse machen müssen."

Steuerregelungen: Vor allem zu Nutzen der Unternehmen

Die von Schwarz-Gelb beschlossenen Steuerregelungen erweitern nach Hubers Ansicht die Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Gewinne weiter ins Ausland zu verlagern. Das saniert weder die Staatsfinanzen, noch schafft es Arbeitsplätze: "Der private Konsum ist bisher ein Stabilitätsfaktor in der Krise gewesen, und ich kann nur davor warnen, die breiten Bevölkerungsschichten, die das Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften, nicht zu entlasten, dafür aber die Unternehmen."

Ideologisches Gedöns

Überlegungen der FDP, die Arbeitsagentur aufzulösen und ihre Funktion dem Markt zu überlassen, bewertet Huber schlicht als "ideologisches Gedöns". erwiesen: "Ich bin nach wie vor beeindruckt von der Leistung der Agentur in ihrem Auftritt, in ihrer Effizienz, in ihren Vermittlungsbemühungen und in ihrer Nähe zu den Betrieben." Als entscheidenden Punkt für die Stimmung zwischen Regierung und IG Metall sieht er in diesem Zusammenhang auch die Entscheidungen zur Kurzarbeit, die bislang die Krisenfolgen wesentlich eingedämmt hat. Nach den derzeitigen Plänen soll sie dennoch nicht über 2010 hinaus verlängert werden; Huber dazu: "Das wollen wir mal sehen. Die Kurzarbeit ist noch nicht abgefrühstückt. Wir brauchen bis zum Jahresende eine Entscheidung, damit die Betriebe auch im nächsten Jahr die verlängerte Kurzarbeit einschließlich der Entlastungen bei den Sozialabgaben anmelden können. Das wird einer der Knackpunkte sein, an der sich unsere Haltung zur Koalition herauskristallisiert."

Tarifrunde: Beschäftigung, keine betriebsbedingten Kündigungen und Übernahme von Auszubildenden

Auf große Aufmerksamkeit stießen die Äußerungen Hubers zur bevorstehenden Tarifrunde. Die Vorzeichen stehen krisenbedingt nicht eben günstig, da sich die in der klassischen Bestimmung der Forderung entscheidende Produktivität durch die Kurzarbeit negativ entwickelt hat; auch der zweite Faktor Inflation ist krisenbedingt ungewöhnlich niedrig. Hubers Fazit: "Insofern werden wir mit der üblichen Formel nicht weiterkommen. [...] Alles in allem ist die Luft wirklich dünn."

Was das für die konkreten Forderungen bedeutet, kann zu diesem Zeitpunkt noch kaum abgeschätzt werden. Fest steht hingegen, dass die zentralen Forderungen in der Krise auch in der Tarifrunde wesentliche Bedeutung haben werden, so Huber: "Ich spreche über Themen: Beschäftigung, keine betriebsbedingten Kündigungen und die Übernahme von Auszubildenden. Das werden die großen Herausforderungen sein, um die es in der Tarifrunde geht. [...] Vieles steht und fällt natürlich mit der Ausweitung der Kurzarbeit ins nächste Jahr."

Arbeitgeber: "offensichtlich etwas dazu gelernt"

Die IG Metall jedenfalls wird wie in der Vergangenheit letztlich pragmatisch vorgehen, und Huber hofft, dass dies auch für das Arbeitgeberlager gilt: "In der Krise 1993 bis 1995 haben die Arbeitgeber eine Absenkung der Löhne um fünf Prozent gefordert. Am Ende hat es neben dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung eine schwarze Null aus Arbeitnehmersicht gegeben. Heute höre ich keine Forderung der Arbeitgeber nach einer Absenkung der Tarifentgelte. Insofern haben sie offensichtlich etwas dazu gelernt."