Siemens Dialog
https://www.dialog-igmetall.de/nachrichten/nicht-ohne-die-ig-metall
05.05.2024, 16:05 Uhr

Nicht ohne die IG Metall

  • 27.02.2009
  • Konzern

Gigaset Communications findet sich seit einigen Tagen mit unklaren Aussagen in den Schlagzeilen wieder. Die ehemalige Siemens Home and Office Communications, seit Oktober 2008 zu gut 80 Prozent im Besitz des Starnberger Investors Arques Industries, soll demnach vor neuen Umwälzungen stehen. Ganz so einfach wird das allerdings nicht gehen.

"<link http: www.finanzen.net nachricht telefonhersteller_gigaset_vor_tiefgreifender_restrukturierung_eurams__849206 _blank external-link-new-window>undefinedEuro am Sonntag" hatte am 21. Februar berichtet, Gigaset Communications stehe "vor einer tief greifenden Restrukturierung" und einem möglichen Verkauf "von Unternehmensteilen". Seitdem geistert die Meldung mit überwiegend spekulativen Informationen und ohne konkrete Bestätigungen durch die Medien. Am Donnerstag informierte nun der Betriebsrat die Beschäftigten des Standorts Bocholts über den tatsächlichen Stand der Dinge.

Ergänzungstarifverträge...

An den beiden Gigaset-Standorten Bocholt, wo rund 1.500 Mitarbeiter in der  Produktion und Produktentwicklung beschäftigt sind, und dem Hauptsitz München mit rund 200 Beschäftigten in Verwaltung, Forschung und Entwicklung, sind seit Herbst 2007 jeweils eigene Ergänzungstarifverträge in Kraft. Beide gelten bis Juni 2010 und sind hinsichtlich der Beschäftigungs- und Standortsicherung identisch: Keine betriebsbedingten Kündigungen, Verlagerungen oder Schließungen bis Dezember 2010. Als Gegenleistung wird unbezahlte Mehrarbeit geleistet; in Bocholt, wo der aktuelle Vertrag eine Reihe von Vorgängern seit den Verlagerungsdrohungen im Jahr 2004 fortführt, werden zusätzlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld in eine leistungs- und ergebnisorientierte Sonderzahlung umgewandelt.

... an die Zustimmung der IG Metall gebunden

Entscheidend bei Ausgliederungs- und Verkaufsabsichten der Firmenseite, wie sie nun offenbar für das Breitband- und WiMax-Geschäft bevorstehen, ist die Notwendigkeit der ausdrücklichen Zustimmung der IG Metall zur Fortführung der Ergänzungstarifverträge. Liegt diese Zustimmung nicht vor, enden die dort getroffenen Regelungen automatisch und ohne Nachwirkung einen Tag vor Durchführung der Ausgliederung.

Konkret bedeutet dies, dass für alle Beschäftigten einschließlich der von einer Ausgliederung betroffenen dann wieder der Flächentarifvertrag gilt  - mit entsprechenden Arbeitszeiten und Sonderzahlungen. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeitgeberseite also gezwungen, eine mögliche Ausgliederung mit der IG Metall zu verhandeln, um nicht den entscheidenden Personalkostenvorteil des Ergänzungstarifs zu verlieren.

Klare Verpflichtungen

Diese Verhandlungsverpflichtung hatte sich bereits bei der Ausgliederung der ehemaligen SHC aus dem Siemens-Konzern bewährt. In einem Spitzengespräch zwischen der Siemens AG, der IG Metall und dem SHC-Gesamtbetriebsrat wurde unter Beteiligung des Käufers Arques Industries unter anderem vereinbart, dass ab dem 1.10.2008 eine dreijährige Standortsicherung gilt und an den beiden inländischen Standorten außerdem das Personal um maximal 20 Prozent in diesen drei Jahren reduziert werden darf. Bis zum 31.10.2010 wurden außerdem Sozialplanleistungen, wie sie bei Siemens Enterprise Communications (SEN) zuletzt vereinbart wurden, fest zugesagt. Nur im Gegenzug zu diesen Zusagen wurde der Ergänzungstarifvertrag weitergeführt.

Gigaset Communications hat nun erneut entsprechende Verhandlungen mit der IG Metall, dieses Mal über die beabsichtigten Teilverkäufe der mit Breitband-Technologie und WiMax beschäftigten Unternehmensteile, beantragt. Anders als die Arques-Spitze gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" bereits erklärte, hat bislang jedoch noch kein Treffen und auch keine Beratung mit der IG Metall darüber stattgefunden. Als erster Termin  wurde jetzt der 6. März vereinbart. An diesem Treffen werden voraussichtlich Vertreter der betroffenen IG Metall-Bezirksleitungen Nordrhein Westfalen und Bayern sowie betriebliche Vertreter beider Standorte teilnehmen.

Sorgfältige Analyse der Folgen für Betroffene und Unternehmen

Unternehmensvertreter erklärten dazu auf der Betriebsversammlung in Bocholt am 26.2.09, dass man auf diese Weise versuchen möchte, einem Teil der für den Personalabbau vorgesehenen Beschäftigten eine konkrete Perspektive bei einem anderen Unternehmen zu geben. Diese Absicht ist zwar zu begrüßen, aber Prüfstein werden die Konditionen sein, die für die Beschäftigten beim erneuten Wechsel des Unternehmens zugesichert werden. Insbesondere die von Siemens übernommenen Sozialplankonditionen und die Altersversorgung sind dabei von hoher Bedeutung. Keinesfalls darf der Teilverkauf zum Einsparen von eigentlich notwendigen Abfindungen für die Betroffenen dienen. Außerdem muss die Auswirkung eines solchen Teilverkaufs auf die Zukunftsaussichten des Unternehmens Gigaset Communications insgesamt genau analysiert werden.

Dazu stellte Konrad Jablonski von der Bezirksleitung NRW der IG Metall in Bocholt klar: "Es ist kritisch zu sehen, wenn zukunftsorientierte Technologien, bei denen Gigaset entsprechendes Know How und Patente vorweisen kann, verkauft werden, und das Unternehmen in der Beschränkung auf die Schnurlos-Telefonie möglicherweise den Anschluss an die Marktentwicklung verpasst. Hier müssen die Planungen genau geprüft und mit den Unternehmensvertretern diskutiert werden."

293 Stellen zur Disposition

Den kompletten aufgrund der vorhandenen Verlustsituation aus Arbeitgebersicht notwendigen Personalabbau bezifferte der von Arques eingesetzte Geschäftsführer Oliver Apelt auf 293 Stellen, wobei bereits 151 Stellen aufgrund Fluktuation und Altersteilzeitverträgen abgebaut seien. Von den verbleibenden 142 zum Abbau in München und Bocholt vorgesehenen Beschäftigten würden aber aktuell nur 80 angesprochen, davon 60 in Bocholt, und zwar überwiegend in Produktentwicklung und Qualitätsmanagement. Die Bocholter Produktion sei derzeit noch nicht betroffen.

Strikte Freiwilligkeit

Grund für die geringere Anzahl der anzusprechenden Beschäftigten seien die laufenden Bemühungen um den Verkauf der o.g. Unternehmensteile. Für alle Beschäftigten, die angesprochen werden, konnte der Gesamtbetriebsrat der Gigaset Communications in Verhandlungen unter Beteiligung der IG Metall übrigens erreichen, dass strikte Freiwilligkeit herrscht. Es wird also niemand (z.B. durch Androhung betriebsbedingter Kündigungen) gezwungen werden, sein Arbeitsverhältnis zu beenden. Außerdem erreichten die Betriebsräte, dass neben Aufhebungsverträgen mit Abfindungen auch die Möglichkeit gegeben wird, mit guten Konditionen bis zu zwei Jahre in eine Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft zu wechseln, die von dem entsprechenden Siemens-Bereich als Tochtergesellschaft installiert wird. Damit soll die professionelle Jobsuche und eine gegebenenfalls notwendige Weiterqualifizierung ermöglicht werden.