Siemens Dialog
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18.05.2024, 10:05 Uhr

You never get a second Chance to make a first Impression

  • 04.07.2008
  • Allgemein

Peter Löscher im Kommunikations-GAU? So ziemlich genau nach einem Jahr im Amte ereilt den CEO der Siemens AG derzeit ein Glaubwürdigkeitsproblem der Sonderklasse. Ein Kommentar von Wigand Cramer.

Erster Auftritt im Sommer 2007 - was<br>bleibt am Ende übrig?

Bislang hatte Peter Löscher seine öffentliche Wahrnehmung sehr erfolgreich im Griff: Konsequent, aber offen und transparent; hart in der Sache, aber kooperativ; extrem dynamische Entscheidungen bei absoluter Gesetzeskonformität (Compliance); kundennah, aber werteorientiert, so wurde sein Bild in der öffentlichen Meinung gezeichnet - und siehe es war gut, verlorenes Vertrauen wurde zurückgewonnen, Öffentlichkeit, Kunden und Mitarbeiter begannen sich wieder auf ihre jeweiligen Aufgaben zu konzentrieren, statt auf interne „Problemchen“. Selbst die Süddeutsche Zeitung, die ja gerne mal über Siemens schimpft, lobte den CEO bei jeder sich bietenden Gelegenheit, ob er sich in London als Multi-Kulti profilierte oder locker über „frozen layer“ resp. Lehmschichten im Topmanagement plauderte.

Trügerische Sicherheit

Und auch der eine oder andere Arbeitnehmervertreter wähnte sich in der trügerischen Sicherheit, dass es nur die anderen, das Topmanagement, das Ausland oder die Bürokratie treffen würde, zumal der CEO mutig und unter Anfeindung einiger seiner Kollegen die deutsche Mitbestimmung als Standortvorteil zu loben wusste.

Jetzt aber das: 17.000 Entlassungen, davon 6.400 in Deutschland, mehrfach in die Ecke gedrängte oder voll überfahrene Betriebsräte, die aus der Zeitung erfahren mussten, was man mit ihnen zu beraten gedenkt, die vor vermeintlich vollendete Tatsachen gestellt werden. Und auch inhaltlich ist plötzlich alles anders: Die angekündigte Verschlankung des Topmanagements erweist sich als das schiere Gegenteil, nicht leitende Angestellte und Führungskräfte sollen sich reorientieren, sondern überproportional viele Tarifangestellte. Statt customer focus, also Kundennähe, wird in der Manier der Vorgänger der Kunde faktisch als Störenfried gebrandmarkt, zumindest wenn er von Siemens Montage und Serviceleistungen (SIMS) bezieht. Das sollen andere machen, die können das besser, heißt es plötzlich. Wer fühlte sich da nicht an den Ausspruch des ehemaligen Finanzchefs und jetzigen Hedgefondmanagers erinnert, der mitzuteilen wusste, das Endkundengeschäft (Mobile Phones) passe einfach nicht zu Siemens.

Arbeitsplatzvernichtung als Entspannungsübung

Die Financial Times Deutschland brachte diesen so plötzlich auftreten Widerspruch zwischen Schein und Sein des Herrn Löscher auf den treffenden Begriff „Der Wolf im Schafspelz“: Ist es dem neuen CEO doch tatsächlich gelungen, eines der bedeutenderen Arbeitsplatzvernichtungsprogramme in der jüngeren Siemens-Geschichte im Vorfeld als lockere Entspannungsübung zu verkaufen, ganz anders als sein Amtsvorgänger, der sich ja eher als Schaf im Wolfspelz gerierte, z.B. als er mit dem Versenken von Handys in Wassergläsern die Konkurrenz herauszufordern schien, um dann kläglich vor ihr zu kapitulieren.

Hinterher ist man immer schlauer. Nun fällt einem ein, dass in Zeitungsinterviews auch schon mal die Rede davon war, dass es „keine Tabus mehr“ gäbe, dass da vom „Durchflohen ohne Kuscheln“ philosophiert oder mitgeteilt wurde, dass dasdurch die Korruptionsaffäre hinterlassene Chaos radikale Einschnitte ermögliche, für die man sonst Jahre brauche. Das Durchflohen (mit Kuscheln) ist unter Primaten ein wichtiges Mittel nicht nur der Hygiene sondern vor allem zum Aufbau nachhaltiger sozialer Beziehungen. Die sind, so scheint es, nunmehr nicht mehr so wichtig.

Billiger statt besser

Die Frage, die sich angesichts der Faktenlage eigentlich nur noch stellt, ist die, ob hier die PR-Abteilung versagt hat, indem sie den CEO nicht auf die Unvermeidlichkeit der Auflösung des Unterschieds zwischen Dichtung und Wahrheit vorbereitet hat, oder ob hier ein undurchsichtiger Machtkampf im Management stattfindet. Denn eines ist offensichtlich: Egal was der neue CEO in der Öffentlichkeit erzählt, das Management in toto macht weiter wie bisher: Renditeorientierung statt nachhaltiger Technologieentwicklung,  Portfoliomanagement statt Innovationsstrategien, Standortverlagerung unter der Devise „Billiger statt Besser“. Und mit den neuen „Vorfahrtsregeln“ für die vielen kleine Sektor- und Division-CEOs kommt Siemens One in jeder Hinsicht unter die Räder: Sowohl an der Kundenschnittstelle, als auch in der Technologieentwicklung feiert das alte Bereichsdenken fröhliche Urständ.

Entscheidende Weichenstellung

Der Gesamtbetriebsrat hat den Braten jedenfalls rechtzeitig gerochen und schon im Mai vollständige und rechtzeitige Informationen gefordert. Mit der Rechtzeitigkeit hat es definitiv nicht geklappt. Was die Vollständigkeit betrifft, bleibt abzuwarten, was die Beratungen der kommenden Wochen bringen. Klar ist in jedem Falle, diese Beratungen werden für die Zukunft von Siemens als integriertem Technologiekonzern entscheidend sein. Denn entgegen allen Sonntagsreden befindet man sich derzeit auf dem Wege zur massiven Desintegration, sowohl was die Wertschöpfungskette von der Entwicklung bis zu Vertrieb und Service angeht, als auch was die Technologieintegration zwischen Sektoren und Divisionen angeht.

Herrn Löscher jedenfalls wird man daran messen müssen, was am Ende rauskommt: Drei trans-galaktisch globale Sektoren ohne wirkliche Bodenhaftung oder One Siemens als europäisch verwurzelter Technologiekonzern. Die Ära Kleinfeld hat einen Teil dieser Wurzeln durch die unrühmliche Abwicklung von COM gekappt. Am Ende der Ära Löscher könnte ein gesichtsloser Portfoliokonzern nach dem Vorbild von General Electric stehen. Ob dem so wird oder nicht, hängt nun auch von den kommenden Verhandlungen ab.

Stakeholder: Positionierung gefragt

Auf den ersten Eindruck sollte man sich halt doch nicht verlassen, sondern eher auf die eigenen Erfahrungen. Und die zeigen, dass reine Kapitalmarktorientierung, auch Shareholder Value Management  genannt - und nichts anderes wurde und wird bei Siemens betrieben -, den Interessen der Mitarbeiter, aber auch denen der Technologieentwicklung nicht unbedingt zuträglich ist. Die übrigen Stakeholder, also Mitarbeiter und soziales Umfeld, sollten sich zu Wort melden. Die Gelegenheit dazu ist genau jetzt.