Siemens Dialog
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17.05.2024, 12:05 Uhr

Für eine arbeitnehmergerechte Zukunft im Siemens-Konzern

  • 03.07.2008
  • Allgemein

Erlanger Betriebsräte, Vertrauensleute und die IG Metall veröffentlichten am Donnerstag in Anwesenheit des 2. IG Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel eine gemeinsame Resolution. Sie wenden sich gegen den drohenden Kahlschlag und fordern die Beschäftigten auf, sich an den Anstrengungen für den Erhalt der Arbeitsplätze und einer zukunftssicheren Siemens AG zu beteiligen.

Eigentlich befand sich Detlef Wetzel im Zuge der Leiharbeitskampagne der IG Metall in Erlangen. Aktuell spielen jedoch an dem Standort, den Peter Löscher einmal als "Seele von Siemens" bezeichnete, die Folgen des befürchteten Personalabbaus eine mindestens ebenso große Rolle; Betriebsräte, Vertrauensleute und die örtliche IG Metall nutzten daher das Interesse, um ihre Resolution der Öffentlichkeit vorzustellen.

Folgende Vertreter der Erlanger Siemens-Betriebe und der IG Metall unterzeichneten die Resolution: Wolfgang Niclas, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Erlangen, Silvia Heid, 2. Bevollmächtigte der IG Metall Erlangen, Sigrid Heitkamp, Betriebsratsvorsitzende Siemens G, Helene Grill, VK-Leiterin Siemens G, Werner Mönius, Betriebsratsvorsitzender Siemens Healthcare, Wolfgang Fees, VK-Leiter Siemens Healthcare, Bruno Wägner, Betriebsratsvorsitzender Siemens F 80, Helmut Saffer, VK-Leiter Siemens F 80, Hans Jürgen Hartung, Betriebsratsvorsitzender Siemens Energy, Georg Brugger, VK-Leiter Siemens Energy, Friedrich Bauer, Betriebsratsvorsitzender Sykatec, Josef Drummer, VK-Leiter Sykatec.

Nachfolgend die Resolution im Wortlaut:

Nach Monaten der Verunsicherung und gleichzeitigen Abwiegelung berichtet die Presse unter Berufung auf Informationen aus dem Siemens Konzern, dass Siemens ca. 18.000 Arbeitsplätze abbauen will. Dreiviertel der Betroffenen sollen Mitarbeiter im Tarifkreis sein, im Oberen Führungskreis wären nach Medienberichten drei Prozent betroffen. Für Deutschland beträgt die Abbauzahl laut Medienberichten 6.400, wobei die Region Erlangen/Nürnberg mit 2.000 - davon Erlangen mit 1.330 - am stärksten betroffen wäre.

Wir brauchen aber eine arbeitnehmergerechte Zukunft im Siemens Konzern.

Deshalb stellen wir fest:

1. Die Siemens AG ist in einer schwierigen Situation. Verursacht und zu verantworten hat diese Situation ausschließlich die Konzernführung. Die Folgen sollen aber - wieder einmal - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen.

2. Der Hightech- und Service-Konzern Siemens bietet ein herausragendes Produkt und Leistungsspektrum und ist grundsätzlich Gewinner einer Unternehmenskultur nach den Grundsätzen der compliance (Einhaltung von Regeln und Gesetzen). Deshalb muss die Siemens AG mit einer guten Unternehmenskultur vorbildlich sein.

3. Wesentlicher Bestandteil einer solchen Unternehmenskultur ist eine konsequente Verbesserung der Mitbestimmungspraxis im Siemens-Konzern sowie die faire Kooperation mit der IG Metall.
 
4. Die Kernforderung von IG Metall, Gesamtbetriebsrat und Arbeitnehmervertretern im Siemens Aufsichtsrat bleibt: Eine Zerschlagung/Zerlegung des Siemens Konzerns muss verhindert werden. Wir brauchen auch zukünftig einen integrierten Technologiekonzern. Integriertes Vorgehen war und bleibt ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Unvermeidliche Anpassungsmaßnahmen müssen im Umfang überprüft und ohne betriebsbedingte Kündigungen realisiert werden.

5. Wachsen in neuen Märkten: ja! - Abbau der Arbeitsplätze in Deutschland: nein!
Gerade die Stärke des Standorts Deutschland (qualifizierte und leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; Hochproduktivitätsland, Innovationsland für Zukunftstechnologien, stabiles und lebenswertes gesellschaftliches Umfeld) waren Kraft- und Erfolgesquelle des Siemens-Konzerns und müssen es bleiben.

6. Die kurzsichtige und börsen- und quartalsorientierte Denkweise der Shareholder-Orientierung nach anglo-amerikanischem Vorbild hat die in über 125 Jahren entwickelten Stärken der Siemens AG beschädigt. Das ausschliesslich Shareholder-orientierte Konzept ist untauglich für die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und muss entsprechend korrigiert werden.

7. Kostensenkungsprogramme sind für sich allein kein Erfolgsgarant. Sie können auch die Grundlagen des bisherigen Erfolgs gefährden. Auch die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in den Vertriebs- und Verwaltungsfunktionen (den SG&A Bereichen), deren Arbeitsplätze jetzt gefährdet sind,  hat mit zu den regelmäßigen Milliardengewinnen der letzten Jahre beigetragen.

8. Die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des 1,2 Mrd. Euro SG&A Sparprogramms und die weiteren Arbeitsplatzabbaumaßnahmen sind bislang nur behauptet und in keiner Weise belegt. Sowohl die Zahl der abzubauenden Arbeitsplätze als auch die bisher bekannte Struktur des geplanten Abbaus entsprechen der Forderung der Konzernführung nach Einsparung von 1,2 Mrd. Euro. Ungeklärt bleiben hierbei aber die negativen Folgen einer Personalreduzierung auf die Leistungsfähigkeit der vom Personalabbau betroffenen Abteilungen. Auch das Servicegeschäft ist für den Erfolg der Siemens AG von herausragender Bedeutung, eine Leistungsreduzierung in diesem Arbeitsfeld wäre für die Zukunft der Siemens AG schädlich.

9. Bei jedem Arbeitsplatz, der vernichtet werden soll, muss geprüft werden:
a. Ist die Arbeit wirklich überflüssig?
b. Wer leistet zukünftig die Arbeit, soweit sie noch erforderlich ist?
c. Sind die Integration in die Arbeitsprozesse und die Qualität der Arbeitsergebnisse zukünftig wirklich gesichert?
d. Führt die Verlagerung der Arbeit auf die verbleibenden Beschäftigten zu Überlastungen, Demotivation und Leistungsabbau bei vielfach schon am Leistungslimit arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

10. Wir benötigen für die richtigen Entscheidungen der Arbeitnehmerseite eine enge und transparente Verzahnung zwischen den zentralen Gremien (Gesamtbetriebsrat, Aufsichtsrat) und den KollegInnen vor Ort in den Standorten und Abteilungen. Wir benötigen eine arbeitnehmergerechte Strategie für die Zukunft des Siemens-Konzerns.

11. Betriebsräte und IG Metall rufen alle Kolleginnen und Kollegen zur Solidarität auf. Sowohl diejenigen, deren Arbeitsplatz akut gefährdet ist, als auch diejenigen, die zunächst nicht direkt betroffen sind. Überhöhter und falscher Arbeitsplatzabbau vernichtet bis zu 18.000 Arbeitsplätze sofort - und weitere Arbeitsplätze in der nahen Zukunft.

12. Eine Überprüfung der tatsächlichen Folgen des Arbeitsplatzabbaus ist ohne die Einbeziehung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den vom Personalabbau betroffenen Bereichen nicht möglich. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine erfolgreiche Einbeziehung der Beschäftigten nicht gegen, sondern nur mit einer kooperativen Einbeziehung der betrieblichen Interessenvertretungsgremien und der IG Metall möglich ist.

13. Für einen nachhaltigen Ausweg aus der Krise des Siemenskonzerns ist es erforderlich, dass möglichst alle ArbeitnehmerInnengruppen sich in die Erarbeitung eines Lösungswegs einbringen und zusammen mit Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, IG Metall und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat Kraft und Macht für die Interessen der Beschäftigten entwickelt werden. Nur so kann eine ausschließlich am Shareholder orientierte Konzernpolitik verhindert werden. Nur so kann eine Siemens-Zukunft entwickelt und durchgesetzt werden, die auch den Erhalt und die Weiterentwicklung der Arbeitsplätze in Deutschland beinhaltet.

14. Zur Durchsetzung der Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland/Erlangen bedarf es eines verstärkten und offenen Zugehens der IG Metall auf bisher der Gewerkschaft überwiegend fernstehende Arbeitnehmergruppen ebenso, wie die weiter zunehmende Mitgliedschaft dieser Arbeitnehmergruppen in der IG Metall.

15. Noch im Juli werden in den Erlanger Siemens-Betrieben Betriebsversammlungen durchgeführt, in denen die Pläne der Konzernführung zum Abbau von 18.000 Arbeitsplätzen vorgestellt werden. Gleichzeitig soll in den Betriebsversammlungen die Beratung eines strategischen Arbeitnehmerkonzepts für einen nachhaltigen Ausweg aus der Siemens-Krise fortgesetzt werden.

Betriebsräte, Vertrauensleute und IG Metall fordern alle Beschäftigten in den Erlanger Siemens-Betrieben auf, sich an den Anstrengungen für den Erhalt der Arbeitsplätze und einer zukunftssicheren Siemens AG in Deutschland zu beteiligen.