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02.05.2024, 20:05 Uhr

Konzernumbau: "zweite Halbzeit"

  • 05.09.2008
  • Allgemein

Im Erlanger Stammhaus wurden die Beschäftigten am Mittwoch darüber informiert, wie sich die Restrukturierung an ihrem Standort konkret auswirken soll. Interessenausgleich und Sozialplan legen die Rahmenbedingungen fest - nun geht es hier wie in allen betroffenen Standorten um die praktische Umsetzung.

Insgesamt sollen in Erlangen knapp 1.100 Stellen entfallen, wie der erste Bevollmächtigte der IG Metall, Wolfgang Niclas, erklärt. Der damit bundesweit größte Abbau an einem einzigen Standort verteilt sich vor allem auf Healthcare (520 Stellen) und Industry (453). Niclas fasst aus Sicht von Betriebsräten und IG Metall zusammen, die seit Bekanntwerden der Pläne gegen mögliche Nachteile für die Beschäftigten kämpfen: "Der Verzicht von Siemens auf betriebsbedingte Kündigungen war nur das 1:0 in der ersten Halbzeit. Jetzt kommt die zweite Halbzeit."

Aufbau sinnvoller als Abbau

Sigrid Heitkamp, Betriebsratsvorsitzende von Erlangen G, kritisierte Siemens' Absicht, 453 Beschäftigte an einem Standort abzubauen, an dem eigentlich Personal fehlt: "Sie wissen es selbst: Es werden zahlreiche Überstunden geleistet, die Zeitkonten quellen über, sehr viele Beschäftigte im Tarifkreis haben 40-Stunden-Verträge." Die IG Metall geht laut Niclas zudem in Erlangen von 740 offenen Stellen aus; das Fazit des Betriebsrats: "An unserem Standort ist überhaupt kein Personalabbau notwendig, sondern ein Personalaufbau!"

Auf Unverständnis stößt auch, dass die Firmenseite bislang nicht begründen konnte oder wollte, nach welchen Gesichtspunkten die einzelnen Personen auf die bereits vorliegende Liste gekommen sind. Aus Sicht des Betriebsrats jedoch ist in einigen Fällen offensichtlich, "dass die genannten Personen in keinem Zusammenhang mit Vertrieb und Verwaltung oder mit Mobility stehen." Darüber hinaus finden sich auch schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen auf der Liste, so Heitkamp: "Der Betriebsrat lehnt diese Vorgehensweise mit der Personalabbau-Liste ab."

Individuelle Prüfung

Damit liegt auf der Hand, dass die "zweite Halbzeit" nicht viel einfacher werden wird als die erste: "Die Verhandlungen über jeden einzelnen Arbeitsplatz gehen jetzt erst los." Die Interessenvertretung will in jedem Einzelfall überprüfen, warum jemand auf die Liste gekommen ist, ob die Aufgabe tatsächlich wegfällt, und welche Folgen für die Betroffenen und die verbleibenden Kollegen der Abteilung entstehen. Außerdem will man gemeinsam mit der IG Metall in die Abteilungen gehen und prüfen, ob sich nicht auch auf anderem Wege Kosten einsparen lassen, um das Einsparziel zu erreichen.

Freiwilligkeitsprinzip im Fokus

Aus Sicht des Erlanger Betriebsrats sollten angesichts offener Stellen und hoher Belastung am Standort vorrangig interne Versetzungen und Ringtauschmöglichkeiten angewendet werden. Eine weitere Reduzierung der Personaldecke hält er für nicht vertretbar und will in diesem Zusammenhang auch verstärkt darauf achten, dass die mit Siemens vereinbarte Freiwilligkeit aller Maßnahmen strikt eingehalten wird: "Wir werden uns dafür einsetzen, dass nur diejenigen Kolleginnen und Kollegen den Standort verlassen, die dies auch tatsächlich wollen."

Kein Druck auf Betroffene

Kolleginnen und Kollegen, denen die Geschäftsführung ein Angebot macht, raten Betriebsrat und IG Metall, es sehr sorgfältig zu prüfen. Der Betriebsrat steht für Beratung und eventuell die Begleitung zu Gesprächen mit der Firmenseite zur Verfügung. Von entscheidender Bedeutung ist zu guter Letzt, dass sich niemand unter Druck setzen lassen sollte: "Wenn jemand versucht Sie unter Druck zu setzen, handelt er gegen die geltende Vereinbarung. Setzen Sie sich in diesem Fall bitte sofort mit uns in Verbindung!"

Headhunter im Tiefflug

Auch Niclas unterstreicht nachdrücklich, dass es allen MitarbeiterInnen auf der Abbauliste freisteht, die angebotene Regelung anzunehmen oder abzulehnen und geht daher davon aus, dass die von Siemens genannten Abbauzahlen noch nicht das letzte Wort sind. Gleichzeitig verweist er darauf, dass in dieser Situation wertvolles KnowHow gegen Abwerbeversuche von Konkurrenzunternehmen geschützt werden muss: "Ich habe den Eindruck, dass Headhunter derzeit im Tiefflug über Erlangen sind. Gerade in den vergangenen Tagen hat mir ein Siemensianer berichtet, er habe gerade einen Job bei General Electric in München angeboten bekommen."