Siemens Dialog
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28.04.2024, 07:04 Uhr

Mehr Facetten für die Diversity

  • 19.03.2009
  • Allgemein

Gut vier Monate nach Berufung von Chief Diversity Officer Jill Lee geht Siemens in die Diversity-Offensive: Facettenreichtum über Grenzen hinweg, interdisziplinäre Karrieren und internationale Netzwerke sollen die Führung zum Vorreiter für Vielfalt machen. Grundsätzlich ein begrüßenswerter Schritt - wo aber bleiben 'normale' Beschäftigte, andere Vielfaltsmerkmale und die hohen deutschen Standards?

'Global Leadership Organization of Women'

Den Anstoß macht am Donnerstag mit 110 TeilnehmerInnen der stilgemäß 'Kick Off' genannte Start eines internationalen Netzwerks namens 'Global Leadership Organization of Women' (GLOW). Wie Siemens per <link http: w1.siemens.com press de pressemitteilungen corporate_communication axx20090341.htm _blank external-link-new-window>undefinedPressemitteilung verkündet, sollem im 'GLOW' Frauen in Führungspositionen jüngere Kandidatinnen fördern und ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg sichtbarer machen.

Ein weiteres Netzwerk soll später Nachwuchskräfte aus den BRIC-Ländern (Brasilien, China, Indien, Russland) zusammenführen. 100 weltweit verteilte Diversity-'Botschafter' schließlich sollen das Diversity-Bewusstsein generell besser in die Unternehmenskultur integrieren.

Wettbewerbsvorteil Vielfalt

"Internationalität ist eine unserer großen Stärken. Diesen Wettbewerbsvorteil werden wir konsequent weiterentwickeln", fasst Peter Löscher die Idee zusammen. Chief Diversity Officer Jill Lee, als Frau und Chinesin konkretes Beispiel dafür, ergänzt, bis 2011 werde Siemens die Vielfalt innerhalb seiner Führungsmannschaft weltweit systematisch ausbauen.

Nationalität, Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion werden als Aspekte für die gewünschte Vielfalt genannt; auch ein generationenübergreifender Dialog soll helfen, das kollektive Wissen im Unternehmen zu erhalten. Die konkreten Maßnahmen allerdings lassen eine deutliche Konzentration erkennen, die auch die Bezeichnung 'GLOW' vermutlich unfreiwillig unterstreicht: an oberster Stelle steht offenbar die Internationalität (Global), deutlich dahinter folgt die Förderung von Frauen (Women), und beides beschränkt sich praktisch ausschließlich auf den oberen Führungskreis (Leadership).

Diversity auf allen Ebenen

An diesem Punkt setzt die Kritik an. Vertreterinnen der Arbeitnehmerseite begrüßen die Pläne grundsätzlich, stellen aber gleichzeitig einen Mangel fest: "Diversity muss sich auf allen Ebenen wiederfinden", erklärt die stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn. "Diversity sollte den ganzen Facettenreichtum der Erfahrungshintergründe aller Siemens-Beschäftigten widerspiegeln, zum Beispiel bedeutet für mich Diversity auch, Teilzeit in qualifizierten Positionen zu fördern oder Mitarbeitern, die ingenieurfremde Ausbildungen haben oder andere Lebensmodelle leben, eine Chance auf Weiterentwicklung zu geben."

Frauenförderung nur in den Chefetagen?

Auch Bettina Müller, Betriebsratsvorsitzende der Niederlassung Regensburg, kritisiert, dass die Frauenförderung nur in den Chefetagen als Strategie erkennbar ist: "Die Personalentwicklungskonzepte starten erst auf den außer- beziehungsweise übertariflichen Ebenen, der 'Unterbau' wird kaum mitgenommen." Das gilt nach ihrer Einschätzung auch für die männlichen Kollegen, wenngleich Frauen mit zusätzlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben: "Frauenförderung setzt Vereinbarkeit von Beruf und Familie voraus, die aber besteht bis heute eher in Lippenbekenntnissen und  wird vorrangig an den Großstandorten umgesetzt."

Die Unterbrechung der Berufstätigkeit stellt nach wie vor einen Nachteil unabhängig von der beruflichen Ebene dar, und das Engagement in den Hochschulen hat in den letzten Jahren aufgrund von Kostensenkungsmaßnahmen eher nachgelassen. Müllers Einschätzung der Situation lautet daher: "Personalentwicklung durch eine gute Personalorganisation wird unter Kostengesichtspunkten zum Nebenthema bei outgesourceten 'Personalabwicklungs-Centern'."

Weitere Fragen wirft die angestrebte Internationalisierung auf. "Siemens ist zwar ein Global Player, aber von Haus aus immer noch ein deutsches Unternehmen, oder habe ich etwas verpasst?", fragt provokativ Sabine Brummer, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in der Niederlassung Mannheim und wie Müller Mitglied des Gesamtbetriebsrats. Bei ausländischen Unternehmen sucht man die bei Siemens angestrebte Vielfalt im Topp-Management meist vergeblich, so dass sich ihr die Frage stellt, wohin eine solche Personalstrategie eigentlich insgesamt führen wird: "Wo bleiben wir Frauen in Deutschland, die 'typischen' Arbeiterinnen und Angestellten? Wird für uns nichts mehr gemacht? Findet Frauenförderung bei Siemens erst ab einer gewissen Ebene statt?"

Diskussion mit dem Gesamtbetriebsrat

Ähnliche Fragen beschäftigen angesichts der derzeitigen Strategievorstellungen auch Steinborn. Sie findet den Ansatz zu mehr Vielfalt grundsätzlich gut, zumal auch Betriebsräte großes Interesse an einer verbesserten Führungskräfteförderung und -auswahl haben. Mögliche Konflikte sieht sie jedoch, wenn etwa die weitere Internationalisierung von Siemens zu einer Vereinheitlichung der Standards führen sollte. Die nämlich, so steht zu befürchten, könnten tendenziell unter denen liegen, die - Beispiel Mitbestimmung - in Deutschland gelten. Und um Vielfalt in die Führungsetagen zu bekommen, muss man schon im Tarifkreis ansetzen. "Wir haben den Kontakt zu Frau Lee aufgenommen und sind gespannt auf die Diskussion mit ihr, ihre Bereitschaft ist da", so Steinborn als  Ausblick für das weitere Vorgehen des Gesamtbetriebsrats.