Siemens Dialog
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29.04.2024, 09:04 Uhr

"Die Krise erreicht Siemens"

  • 30.03.2009
  • Allgemein

... "aber Siemens ist nicht in der Krise" - mit dieser eingängigen Formulierung fasste Finanzchef Joe Kaeser am Donnerstag Siemens' Situation zum Ende des zweiten Quartals zusammen und beruhigte die durch Peter Löschers Äußerungen vom Vortag aufgeschreckte Börse etwas. Neben den Ergebnisprognosen stand die Kurzarbeit im Mittelpunkt des Interesses.

Löscher hatte am Mittwoch durch die Blume auf eine mögliche Abwärtskorrektur der Gewinnerwartungen vorbereitet (siehe "Mannschaft zusammenhalten, Kompetenzen sichern"). Kaeser erläuterte seinerseits, Siemens werde von den staatlichen Konjunkturprogrammen erst im nächsten Geschäftsjahr profitieren. Konzernweit belaste die Wirtschaftskrise das Unternehmen auf längere Zeit, da Kunden zum Teil vor Refinanzierungsproblemen stünden. Derzeit gebe es allerdings lediglich Auftragsverschiebungen, nicht aber Stornierungen.

"Verwirrung am Kapitalmarkt"

Im laufenden Quartal wird nach seiner Darstellung der Auftragseingang höher sein als der Umsatz, im Jahresvergleich jedoch spürbar schrumpfen. Das Ergebnis des zweiten Quartals soll deutlich über dem des Vorjahres liegen. Die Börse hörte es mit Erleichterung, die Siemens-Aktie gewann ihre zuvor abgegebenen Punkte großteils wieder zurück. Wie lange die Erholung anhält, bleibt abzuwarten: Mit Blick auf die Jahresprognose erklärte Kaeser pragmatisch, solange es keine neue Zahl gebe, gelte eben die alte. Das ist zweifellos richtig, aber wenn es ganz so einfach wäre, hätte sich der Vorstandschef dazu vermutlich weniger vorsichtig geäußert. Reuters fasste am Freitag zusammen, Siemens sorge durch "wechselhaften Umgang mit seiner Geschäftsprognose für Verwirrung am Kapitalmarkt".

Probates Mittel Kurzarbeit

Zumindest in den Medien wurde fast noch ausführlicher auf den Stand der Kurzarbeit bei Siemens eingegangen. Kaeser bewertete diese wie zuvor Löscher und Personalvorstand Siegfried Russwurm als "sehr probates Mittel, eine längere Schwächephase zu überbrücken"; dabei kündigte er an, nach den bisher in diesem Zusammenhang vor allem erwähnten Bereichen Industrieautomatisierung und Osram werde es auch andere Sparten treffen.

"Neue Qualität" ...

Für Siemensianer ist diese Entwicklung schon seit Wochen unverkennbar, zumal zunehmend untypische Beschäftigtengruppen betroffen sind. Die Gesamtbetriebsratsspitze spricht in diesem Zusammenhang von einer "neuen Qualität"; in Abteilungen wie Siemens IT Solutions and Services in München Perlach und Betrieben wie Nürnberg Moorenbrunn kommt massiv Kurzarbeit auf Angestelltengruppen zu, die damit bislang praktisch noch nie zu tun hatten.

... und rasanter Anstieg

Analog dazu entwickeln sich die Anzahl der betroffenen Beschäftigten. In der Öffentlichkeit hält sich bislang überwiegend die auch von Kaeser erneut genannte Zahl von rund 7.400 Betroffenen bis April; Russwurm erklärte vor gut zwei Wochen, eine Verdoppelung wäre vorstellbar (siehe Verdoppelung der Kurzarbeit "würde mich nicht wundern").

Die stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn sprach zu diesem Zeitpunkt bereits von 10.000 KurzarbeiterInnen im Mai und hob diese Zahl bald darauf in der "Simaz" auf 14.000 (siehe "Die Wirtschaft in der Krise") an. Und der Trend ist ungebrochen: Seit der vergangenen Woche scheinen angesichts des Planungsstandes in den Betrieben rund 17.000 Betroffene ab Jahresmitte im Bereich des Möglichen.

Auf die gesamte Belegschaft bezogen ist das zwar immer noch kein Katastrophenszenario, zumal der Gesamtbetriebsrat für die Betroffenen solide Rahmenbedingungen wie die Aufzahlung auf 85 Prozent des Nettoeinkommens durchsetzen konnte. Besorgniserregend ist jedoch das Tempo, in dem flächendeckend Betriebe und Bereiche erfasst werden.

Hochrechnungen sind in diesem Zusammenhang sicher wenig sinnvoll; fest steht aber, wie Joe Kaeser es ausdrückte: Die "deutliche Anpassung der Nachfrage" nach unten wird aus derzeitiger Sicht "eher noch zwei Jahre als zwei Quartale" anhalten.