Siemens Dialog
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29.04.2024, 16:04 Uhr

Kein Freibrief für frühere Konzernspitze

  • 07.04.2008
  • Allgemein

Das öffentliche Interesse an der Korruptionsaffäre bei Siemens steigt wieder sprunghaft an. Hintergrund ist angesichts eines ersten Gerichtstermins im Mai die Frage, ob beziehungsweise wieviel wer in der früheren Unternehmensspitze von Unregelmäßigkeiten wusste; zusätzliche Brisanz erzeugen Spekulationen über mögliche politische Einflussnahmen auf die Ermittlungen.

Begonnen hat die neue Flut von Medienberichten vergangene Woche mit der Meldung, die Münchner Staatsanwaltschaft vermute keine Mitwisser mehr im ehemaligen Zentralvorstand (siehe Staatsanwaltschaft: Keine Mitwisser im Zentralvorstand).

Kurz darauf beeilte sich die Staatsanwaltschaft allerdings mit einer klärenden Ergänzung. Das <link http: www.handelsblatt.com _blank external-link-new-window>undefinedHandelsblatt zitierte den Oberstaatsanwalt Anton Winkler, man habe mit der Aussage niemandem einen Freibrief ausgestellt - auch nicht Heinrich von Pierer: "Die Ermittlungen in dem gesamten Komplex dauern noch an. Sollten sich Anhaltspunkte ergeben, dass von Pierer in die Affäre verwickelt ist, dann werden wir dem natürlich nachgehen."

Erster Prozess Ende Mai

Parallel wurde bekannt, dass voraussichtlich Ende Mai der erste Prozess gegen einen Beschuldigten in der Affäre am Landgericht München beginnt. Der Beschuldigte soll jahrelang schwarze Kassen bei COM organisiert haben und ist angeblich voll geständig; nach einer Meldung des <link http: www.spiegel.de wirtschaft _blank external-link-new-window>undefinedSpiegel soll in seiner Verhandlung unter anderem Von Pierer vernommen werden, während der Beschuldigte selbst in späteren Verfahren als Kronzeuge dienen könnte.

Neue Erkenntnisse?

Nach Informationen der <link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft artikel _blank external-link-new-window>undefinedSüddeutschen Zeitung soll es in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse geben, nach denen die frühere Konzernspitze doch Hinweise auf Schmiergeldzahlungen und Mängel der internen Kontrolle gehabt habe. Der frühere Anti-Korruptionsbeauftragte Albrecht Schäfer soll demnach nach eigenen Angaben Mitglieder des damaligen Zentralvorstandes schon im November 2003 entsprechend unterrichtet.

Zu allem Überfluss gerät auch noch ein Besuch Heinrich von Pierers beim damaligen bayerischen Innenminister und heutigen Ministerpräsident Günter Beckstein kurz nach der ersten Razzia bei Siemens im November 2006 ins Gespräch. Per se ist der Kontakt zur Staatsregierung weder ungewöhnlich noch verdächtig, eine brisante Note bekommt dieser spezielle Besuch jedoch in den Augen vieler durch die Zeitnähe zur Razzia und die Tatsache, dass Von Pierer beim Innenminister - zuständig für Landesanwaltschaft, Landeskriminalamt und Polizei - statt beim Ministerpräsident oder dem Wirtschaftsminister vorsprach.

Die "SZ" will nach diesem Gespräch "eine entscheidende Wende" in den Ermittlungen festgestellt haben, nach der sich die Staatsanwaltschaft auf Managementebenen unterhalb des Vorstands konzentriert habe. Der leitende Staatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld wies dies zurück und erklärte, man habe überhaupt erst "Monate später" von dem Gespräch erfahren. Ein äußerst kritischer <link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft artikel _blank external-link-new-window>undefined"SZ"-Kommentar kommt dennoch zu dem Schluss, man habe "entweder in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der CSU-Regierung oder aufgrund politischer Einflussnahmen" nicht rückhaltlos ermittelt: "Es sieht so aus, als wollten oder dürften die Strafverfolger dem früheren 'Mr. Siemens' nicht zu nahe kommen."

Opposition fordert klare Antworten

Mittlerweile stellt auch die bayerische Landtagsopposition entsprechende Fragen. SPD-Fraktionschef Franz Maget hat Beckstein schriftlich um Aufklärung besagten Besuchs gebeten und will insbesondere eine klare Antwort, "ob die Vermutungen in dem Bericht der SZ in irgendeiner Weise zutreffen und das Gespräch indirekt oder direkt Einfluss auf die Ermittlungen der bayerischen Justiz in der Siemens-Korruptionsaffäre hatte" sowie "ob nach Ihren Kenntnissen auch im Top-Management von Siemens in gleicher Weise und in der gleichen Intensität wie in der mittleren und unteren Ebene [...] ermittelt worden ist".