Siemens Dialog
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29.04.2024, 13:04 Uhr

Unschuldig, fahrlässig, vorsätzlich?

  • 14.04.2008
  • Allgemein

Die Korruptionsaffäre bekommt eine neue Qualität. Nach einer Phase eher theoretischer Andeutungen über die Folgen einer denkbaren Mitwisserschaft in der früheren Unternehmensspitze konkretisieren sich nun Anzeichen für eine konkrete Auseinandersetzung. Im Fokus des Interesses steht der langjährige "Mr. Siemens" Heinrich von Pierer.

Der Zentralvorstand im Jahr 2004<br>(zum Vergrößern anklicken).

Die <link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft artikel _blank external-link-new-window>Süddeutsche Zeitung berichtete am Wochenende in mehreren Artikeln, dass angesichts aktueller Informationen zu der Affäre intern über mögliche Schadensersatz-forderungen gegen frühere Vorstände ein schließlich Von Pierers diskutiert wird. Den Aufsichtsratsmitgliedern soll demnach ein Gutachten zu diesem Thema vorliegen, das bei der nächsten Sitzung des Gremiums Ende des Monats besprochen werden soll.

Anfang 2008 hatte Siemens bereits schriftlich entsprechende Forderungen gegenüber Managern der früheren COM-Sparte geltend gemacht und sie zum Verzicht auf potenzielle Verjährungsfristen aufgefordert (siehe Kein Lockerlassen). CEO Peter Löscher, Compliance-Vorstand Peter Solmssen und Chief Compliance Officer Andreas Pohlmann haben bereits mehrfach erklärt, dass Siemens bei erwiesenen Verfehlungen von Ex-Manager ungeachtet der früheren Position grundsätzlich mögliche Regressforderungen prüft.

Entscheidend in dieser Hinsicht ist die Frage, was genau die einzelnen Betroffenen gewusst und getan haben. Wie Heinz Hawreliuk, einer der IG Metall-Vertreter im Aufsichtsrat, erklärt, kann Siemens bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit Schadensersatz verlangen - dann also, wenn das Schmiergeldsystem aktiv gefördert oder aber trotz bekannter Hinweise auf Unregelmäßigkeiten nichts unternommen wurde.

Bestechung in Italien

Ein Pfeiler des Verdachts, Siemens-Vorstände seien bereits seit Jahren über Schmiergeldzahlungen aus eigens dafür angelegten schwarzen Kassen informiert gewesen, ist eine Behauptung des früheren Siemens-Justitiars Albrecht Schäfers. Er erklärt, er habe den Zentralvorstand bereits 2004 im Zusammenhang mit Bestechungen bei Power in Italien auf die Einschätzung eines Mailänder Gerichts hingewiesen, Siemens habe seine Aufsichtspflicht verletzt; insbesondere die Existenz schwarzer Kassen spreche dafür, dass Siemens Bestechung als mögliche Strategie ansehe.

Zumindest der daraus Ende April 2004 resultierende einjährige Ausschluss Siemens' von öffentlichen Aufträge jedenfalls war allgemein bekannt. Der Siemens Dialog berichtete Anfang Mai 2004 (siehe Ohrfeige von der Justiz); Von Pierer lehnte bei der Halbjahrespressekonferenz am 28. April 2004 jeden Kommentar zu entsprechenden Fragen ab.

Jetzt von der SZ auf diesen Vorgang angesprochen, erklärte Von Pierers Anwalt gegenüber der Zeitung, sei Schäfers Aufgabe gewesen, "für die Einhaltung der Compliance-Vorschriften zu sorgen", und: "Es konnte davon ausgegangen werden, dass es sich um einzelnen Vorgang" handelte.