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26.04.2024, 23:04 Uhr

Nur jeder Zehnte schafft's bis 65

  • 22.01.2010
  • Allgemein

Die nach derzeitiger politischer Planung ab 2012 stufenweise einzuführende Rente mit 67 ist bekanntlich vielfacher Kritik ausgesetzt. Eine Analyse stützt den verbreiteten Verdacht, dass es sich bei der vorgeblichen Anhebung der Lebensarbeitszeit faktisch schlicht um eine unter falscher Flagge segelnde Rentenkürzung handelt.

Unbewiesene Grundannahme

Die offizielle Rentenpolitik basiert auf der Annahme, dass die ArbeitnehmerInnen die zusätzlichen zwei Jahre auch tatsächlich im Erwerbsleben verbringen; nur so ergibt die volkswirtschaftliche und demografische Argumentation der Befürworter dieser Anhebung überhaupt wenigstens rechnerisch Sinn.

Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass zum einen auf dem Arbeitsmarkt gar kein nachhaltiger Bedarf für die zusätzliche Arbeitskraft erkennbar ist; nicht nur aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Betroffenen in der Praxis wirklich zwei Jahre länger arbeiten werden. Ist dies nicht der Fall, wird ihre Rente zwangsläufig kleiner, so dass die Rentenkassen zwar nicht mehr einnehmen, dafür aber weniger ausgeben.

Offizielles Rentenalter: eher Ausnahme als Regel

Eine Analyse des Instituts Arbeit und Qualifikation (<link http: www.iaq.uni-due.de _blank external-link-new-window>undefinedIAQ) der Universität Duisburg Essen verleiht diesen Zweifeln weiter Nachdruck. Der von der Hans Böckler-Stiftung geförderte Altersübergangsreport belegt, dass die Grundannahme für die Rentenverschiebung in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel darstellt: Gerade einmal jeder zehnte neue Rentner war im Untersuchungszeitraum 2007 ohne größere Unter­brechungen bis 65 in seinem Beruf tätig.

Schon die aktuelle Altersgrenze von 65 Jahren ist den Daten zufolge also auch für gut etablierte Arbeitskräfte schwer oder gar nicht zu erreichen, und: Gingen nur 10 Prozent der 'neuen' Rentner direkt aus dem Beruf und mit 65 in den Ruhestand, schaffte es obendrein nur jeder dritte davon, ohne große Unterbrechung bis zum Ruhestand im Job zu bleiben.

Längere Lebensarbeitszeit: unrealistisch ohne entsprechenden Arbeitsmarkt

In die selbe Richtung weist die Betrachtung der bereits existierenden Praxis der Rentenabschläge. Erwerbstätige gehen seit deren Einführung tendenziell später in Ruhestand. Der Anteil derer, die aus einer stabilen Beschäftigung in die Rente wechseln, hat sich von 2004 bis 2007 nur in Ostdeutschland erhöht; im Westen blieb die Quote konstant, das tatsächliche Rentenalter lag schon zuvor höher.

Nur bei entsprechenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt können die mit den Abschlägen angestrebten Anreize zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit also wie gewünscht wirken. Ist der Zugang zum Arbeitsmarkt aber verschlossen und eine längere Erwerbstätigkeit nicht möglich, verursachen die Abschläge - bei Rentenbeginn vor dem 65. Geburtstag sinkt die Rente für jeden früher beantragten Monat um 0,3 Prozent - Härten. Betroffen sind besonders Langzeitarbeitslose, von denen 25 Prozent die maximal mögliche Kürzung von 18 Prozent hinnehmen müssen.

"Spartanische soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, Einkommensarmut und Krankheit"

Dass trotzdem rund drei Viertel der Langzeitarbeitslosen über 60 vorzeitig und mit Abschlägen in Rente gehen, liegt nach Ansicht von Experten an den mangelnden Alternativen: "Eine spartanische soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, Einkommensarmut und Krankheit am Ende des Erwerbslebens lässt auch eine geringe Rente attraktiv erscheinen, auf die immerhin ein individueller Anspruch ohne Bedürftigkeitsprüfung besteht."